„There is no planet B“: Wie eine spanische Firma Vorbild für Berlin sein kann

2023-01-05 16:08:13 By : Ms. Annabelle Tang

Das Label Ecoalf macht Mode aus Müll, den Fischer aus dem Mittelmeer ziehen. In Berlin prägte Gründer Javier Goyeneche einen Schlachtruf der Klimabewegung.

Es ist heiß im Hafen von Villajoyosa, heiß und ruhig. Die Sonne brennt vom Himmel. In die wenigen Schatten, die sie auf den glühenden Asphaltboden wirft, haben sich vereinzelte Figuren zurückgezogen: Hilfsburschen, die an Bootsgaragen lehnen, wenig sprechen, viel rauchen. Sie warten auf die Fischerboote, die bald am Horizont auftauchen. Eines nach dem anderen schiebt sich seinem Anlegeplatz entgegen. Und dann geht alles ganz schnell.

Die Fischer hieven ihren Fang über die Reling, die Burschen nehmen ihn entgegen; laute Rufe in spanischer Sprache zerschneiden die träge Nachmittagsruhe. In den blauen Wannen winden sich jene Fische und Krustentiere, die noch nicht erlöst wurden; tütenweise Eiswürfel werden über sie gekippt. Oben befreien die Fischer ihre Boote mit Wasserschläuchen vom gröbsten Dreck, unten werden die blauen Wannen auf Rollwägen davontransportiert. Zurück bleiben nur vereinzelte Eimer, die schließlich einsam an den Anlegestellen stehen. Randvoll sind sie mit Müll gefüllt.

„So einen Eimer bringen wir fast jeden Tag mit an Land“, sagt einer, der sich als Jorge vorstellt. „Plastikflaschen, Plastiktüten, Dosen.“ Wie zum Beweis wühlt der Fischer im Eimer, hält mit seiner braungebrannten, rauen Hand eine leere PET-Flasche in die Sonne. „Aber“, sagt er mit einer Zigarette im Mundwinkel, „mit jedem Tag haben wir ein bisschen weniger Müll in unseren Netzen.“

Zwei, drei Boote weiter meint auch Andrés, dass es vor der Costa Blanca mittlerweile weniger Unrat aus dem Mittelmeer zu holen gibt. „Früher hätte der Müll, den wir rausgefischt haben, alle zwei Tage einen ganzen Container füllen können. Jetzt wäre das wohl erst in zwei Wochen der Fall“, erzählt er und sagt feierlich: „Heute haben wir sogar überhaupt keinen Müll im Netz gehabt.“ Wie die meisten anderen Fischer von Villajoyosa unweit der Tourismushochburg Alicante kooperieren auch Jorge und Andrés mit der Fundación Ecoalf: Den Müll, den sie aus dem Mittelmeer ziehen, bringen sie an Land und werfen ihn dort in Sammelcontainer, die durch die Stiftung bereitgestellt wurden.

Die Fischer haben manchmal Müllteile wiedererkannt, die sie einige Tage vorher schon einmal im Netz hatten.

„Früher haben die meisten von ihnen all die Plastikflaschen und Plastiktüten einfach wieder zurück ins Wasser geworfen“, sagt Javier Goyeneche. „Ich habe von Fischern gehört, dass sie manchmal Dinge wiedererkannt haben, die sie ein, zwei Tage davor schon einmal in ihren Netzen hatten.“ Goyeneche sitzt in seinem Madrider Büro, als er das erzählt, etwa vier Autostunden von Villajoyosa entfernt. Er ist der Gründer der Modemarke Ecoalf, die auch hinter der gleichnamigen Stiftung steht.

Zu Beginn der Initiative hat er viele Fischer höchstpersönlich überzeugen können, mitzumachen bei dem beeindruckenden Meeressäuberungsprojekt. „Ihr müsst tun, was ihr für richtig haltet“, habe er zu ihnen gesagt: „Den Müll zurück ins Meer werfen, um am nächsten Tag denselben Müll wieder rauszuholen – oder ihn sammeln und an Land in einen Recycling-Container geben.“ Diese, die großen Müllcontainer, die sich im Hafen von Villajoyosa leuchtend gelb vom Blau des Meeres, der Bootsgaragen, der umherliegenden Fischernetze und Plastikwannen abheben, hat Goyeneches Fundación Ecoalf in Kooperation mit Ecoembes aufgestellt.

Damals wusste nur eine Teppichweberin im südlichen Taiwan, wie man aus Plastik hochwertige Textilien macht.

Das Unternehmen Ecoembes, das halb staatlich und halb privat finanziert wird, kümmert sich um das Gros der Recyclingvorgänge in ganz Spanien. Ist einer der gelben Container gefüllt, wird der Inhalt zur Recyclinganlage gebracht und entsprechend auseinandersortiert – 68 Prozent des Mülls, der im Zuge des Projekts aus dem Meer geholt wird, kann wiederverwendet werden; Glasflaschen zum Beispiel, Aluminium-Teile, Dinge aus Polypropylen oder Polyethylen. „Und die Plastikflaschen“, sagt Javier Goyeneche und lächelt verschmitzt, „die Plastikflaschen holen wir uns.“

Mit Ecoalf – seiner Modemarke, nicht seiner Stiftung – kauft Goyeneche die PET-Flaschen sozusagen wieder zurück, um daraus Garne machen zu lassen, die er für Modeteile seines Labels nutzt. Was entsteht, ist ein sinnvoller Kreislauf: Das Meer wird vom Müll befreit, der dann sortiert und recycelt wird; aus einem Teil davon entstehen nachhaltige Modedesigns. Nicht wenige, wohlgemerkt – das Meeresprojekt begrenzt sich längst nicht mehr nur auf die Costa Blanca in Spanien. Mehr als 3000 Fischer konnten Goyeneche und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits von einem Engagement für das Projekt überzeugen; der größte Teil von ihnen fischt vor der Küste Spaniens, aber auch in Teilen Frankreichs, Italiens und Griechenlands ist die Fundación Ecoalf aktiv.

Recycling ist doch mittlerweile die einzige Lösung, um wirklich nachhaltige Mode zu machen.

Ohnehin steht das Projekt auf einer langen Liste an nachhaltigen Ideen und Initiativen, mit denen das 2009 in Madrid gegründete Modelabel auf sich aufmerksam macht. Lange bevor andere Marken ähnliche Produkte in ihr Sortiment aufgenommen haben, arbeitete Ecoalf bereits ausschließlich mit recycelten Materialien. Schon die ersten Stoffe, die das Label benutzte, bestanden aus alten PET-Flaschen. „Damals war das Thema noch so neu, dass wir erst nach langer Recherche im südlichen Taiwan eine Teppichweberin gefunden haben, die überhaupt wusste, wie man aus Plastik hochwertige Textilien macht.“

Später ließ Goyeneches Label aus textilen Abfällen und Schnittresten großer Stoffhersteller neue Baumwollgarne spinnen; in anderen Projekten ließ die Marke das Nylon kaputter Fischernetze zu Textilien weiterverarbeiten oder fand Wege, wie sich aus pulverisierten Kaffeeresten und PET-Flaschen ein Stoff herstellen lässt. „Recycling ist die einzige Lösung, um wirklich nachhaltige Mode zu machen“ – davon ist Javier Goyeneche überzeugt.

Wir machen große Rabatt-Aktionen nicht mit, weil sie die Menschen zum ungehemmten Konsum animieren.

Schon bevor er Ecoalf aus der Taufe hob, arbeitete der gebürtige Madrider lange in der Modebranche, die als eine der größten Umweltsünderinnen gilt. Die globale Textilindustrie verursacht jährlich rund 1,2 Milliarden Tonnen CO2, was fünf Prozent der globalen Emissionen entspricht – mehr als der internationale Flug- und Kreuzschifffahrtsverkehr zusammen. Dass die konventionelle Baumwollproduktion unglaublich viel Wasser verbraucht, ist bekannt; für ein einziges T-Shirt sind es fast 3000 Liter. Hinzu kommen ethische Fragen nach Produktionsbedingungen und Massentierhaltung.

Mit der Gründung seines Labels wollte Javier Goyeneche etwas anders machen – heute gilt Ecoalf als eine der nachhaltigsten Modemarken überhaupt: Hochwertige T-Shirts und Sweater aus recycelter Baumwolle oder wiederverwendetem Kaschmir; Sneaker, die komplett ohne neues Gummi oder umweltschädliche Klebstoffe auskommen; unverwüstliche Taschenmodelle, die aus den PET-Flaschen des Mittelmeer-Projekts bestehen. Alle Designs sind schlicht und trendunabhängig gestaltet, sodass sie auch ästhetisch viele Saisons und Jahre überstehen.

Hinter all unseren Produkten steckt eine lange Zeit der Entwicklung, es dauert, bis wir mit ihnen Geld verdienen.

Investorinnen und Investoren von seiner Vision zu überzeugen, war trotzdem nicht immer einfach, erzählt Goyeneche in seinem Büro mit Blick auf die Calle Gran Vía in Spaniens Hauptstadt. „Wir machen die großen Rabatt-Aktionen wie den ‚Black Friday‘ nicht mit, die für uns zwar wirtschaftlich ertragreich, aber nicht mit unseren Prinzipien vereinbar wären, weil sie die Menschen zum ungehemmten Konsum animieren“, sagt Goyeneche. „Und hinter all unseren Produkten steckt eine lange Zeit der Recherche und der Entwicklung, es dauert, bis wir mit ihnen überhaupt Geld verdienen.“

Lange Zeit habe eines seiner Teams zum Beispiel an einem qualitativen Textil gearbeitet, das recycelte Baumwolle und recyceltes Polyester zusammenbringt – nur um die Idee nach Monaten der Entwicklung wieder zu verwerfen. „Irgendwann ist uns aufgegangen, dass wir nicht weit genug gedacht haben, nicht über unsere eigenen Produkte hinaus“, so Goyeneche; würden Modeteile aus besagtem Material irgendwann weggeworfen, ließen sich ihre Stoffe schließlich nicht wieder einfach so recyclen, da sowohl Baumwolle als auch Polyester darin verwebt wären. „Manchmal ist es eben so, dass man ein Problem gelöst zu haben glaubt“, sagt Goyeneche, zurückgelehnt in seinem Bürostuhl, „und schon taucht das nächste Problem auf.“

Manchmal glaubt man ein Problem gelöst zu haben, und schon taucht das nächste Problem auf.

Warum der Unternehmer, der sein Label Ecoalf nach seinen beiden Söhnen Alfredo und Alvaro benannt hat, diese Sisyphusarbeit überhaupt auf sich nimmt, hat er vor Jahren einprägsam und öffentlichkeitswirksam formuliert: „Because there is no planet B“ – „weil es keinen Planeten B gibt.“ Der Satz, den man heute auf jeder Fridays-for-Future-Demo liest, stammt von Javier Goyeneche. Die Idee dazu kam ihm in Berlin, der Stadt, in der er später den ersten Ecoalf-Store außerhalb Spaniens eröffnete, in der Alten Schönhauser Straße.

2014 stellte er hier das erste Mal mit seiner Marke auf der Modemesse Seek aus. Mit einem ganz kleinen Stand, weit hinten, abgeschieden, direkt vor einer schmucklosen Betonwand. „Irgendwas mussten wir darauf malen oder schreiben und ich hatte auf dem Weg nach Berlin einen Artikel gelesen, in dem es um Flexibilität im Geschäftswesen ging, um Plan A und Plan B“, erzählt der Spanier – der Satz mit dem alternativlosen Planeten sei ihm dann spontan auf der Messe gekommen.

Ironischerweise wird mein Satz gerade von jenen Firmen instrumentalisiert, die seinem Inhalt total widersprechen.

Längst hat Goyeneche „Because there is no planet B“ europaweit als Schutzmarke eintragen lassen. Dass sein Slogan immer wieder auf Klimaprotesten benutzt oder von Politikerinnen und Politikern zitiert wird, freue ihn sehr – dass er häufig auch auf den Produkten anderer Hersteller auftaucht, dagegen weniger. „Unsere Rechtsabteilung muss wöchentlich entsprechende Briefe rausschicken, um das zu unterbinden. Ironischerweise wird der Satz gerade von jenen Firmen instrumentalisiert, die seinem Inhalt total widersprechen.“ Vor wenigen Tagen noch benutzte ein britischer Massenhersteller Goyeneches Credo – und druckte es auf ein Kinder-T-Shirt für 2,99 Euro.

Lange kann sich der Unternehmer über solch groben Zynismus nicht ärgern. Er hat zu viel zu tun, zu viele Projekte, die betreut werden wollen, neue Projekte, alte Projekte, das mit den Fischern und dem Müll aus dem Meer zum Beispiel. Für ihr Engagement werden die Männer übrigens nicht bezahlt, wie Goyeneche noch erzählt. „Zum einen wäre das für unsere Stiftung gar nicht möglich, und zum anderen hat das ein ähnliches Projekt in Frankreich schon einmal versucht“, sagt er und lächelt. „Ein paar Fischer haben daraufhin angefangen, einfach ihren Hausmüll mitzubringen und sich dafür bezahlen lassen.“ Die Fundación Ecoalf setzt auf ein ökologisches Bewusstsein, das sich nicht zuletzt auch bei jenen Männern manifestiert hat, die tagtäglich mit ihren Booten hinaus aufs Mittelmeer fahren.

Im Hafen von Villajoyosa, unter der brennenden Sonne, auf dem glühenden Asphalt, erzählen die Männer von dem Müll, den sie aus dem Wasser ziehen. Von Plastikflaschen und Plastiktüten, Farb- und Lackeimern, von sperrigen Gegenständen wie verrosteten Waschmaschinen oder Mikrowellen, die ihre Fischernetze zerreißen. Von Meerestieren, die sich in scharfen Metallteilen verfangen oder Plastikstücke in ihren Bäuchen tragen. „Es muss sich etwas ändern, davon hängt nicht nur die Zukunft von uns Fischern ab“, sagt Jorge, der Mann mit den braungebrannten, rauen Händen. „Hier geht es um die Zukunft unseres ganzen Planeten.“

Dass der Müll seit der Realisation des Projektes zumindest in dem Meeresgebiet weniger geworden ist, in dem sie arbeiten, freut die Fischer von Villajoyosa. Aber sie wissen, dass ihr Engagement nur ein kleiner Teil im Ganzen sein kann, ein Tropfen auf dem heißen Asphalt, auf dem sie stehen. „Heute kann ich gar nicht mehr vorbeigehen, wenn ich Müll auf der Straße liegen sehe“, sagt noch Andrés, der andere. „Ich habe das Gefühl, wenn ich diesen Müll nicht richtig entsorge, habe ich ihn ein paar Tage später in meinem Netz.“